„Mit offenen Augen
über die Kante schauend,
balancierend im Fluss.
In Erinnerung –
der Duft des Harzes,
als ich meinem Vater
die Brote
in den Wald brachte.“
Im Werk von Gordon Brown gibt es stets einen Ausgleich, ein Gegengewicht, thematisch wie formal. Und so bildet die Serie der „Urbanen Türme“ einen Gegenpol zur Mobilität und zur Veränderung. Die „Urbanen Türme“ sind Ausdruck der Verfestigung, der erneuten Verwurzelung. Waghalsig strecken sich die komplexen Turmgebilde in die Höhe, winden sich dem Licht entgegen. Ihr Inneres ist durchzogen von einem verwirrenden System kleiner Öffnungen und Höhlen. Diese Verschachtelung greift auch auf die Außengestalt über. So bilden sie die Bühne für ein sich wieder verdichtendes Leben, für das Gemeinschaftliche. Mitunter erinnern die „Urbanen Türme“ kaum mehr an menschliche Architekturen, sondern an geheimnisvolle Zivilisationen. Auch spielt Brown bewusst mit dem Genius loci von Bauweisen aus der Tierwelt. Unbändige Energie zur Gestaltung und unbezwingbarer Lebenswille sprechen aus dieser Werkgruppe, in denen die Sehnsucht nach einer Verwurzelung des Daseins seinen sichtbaren Ausdruck findet. Das Werk Browns spürt dem nach, was die Welt im Inneren zusammenhält und was sie antreibt. Dies verdeutlichen die zellenartigen Gebilde, die in vielfältiger Ausformung in dieser Ausstellung anzutreffen sind. Bei diesen sogenannten „Stammzellen“ findet sich das Singuläre neben dem Verdichteten, die Kleinform neben dem Großformat. Es sind dies Sinnbilder wuchernden Lebens, wo selbst in der kleinsten Zelle Lebensenergie spürbar ist. Mitunter potenzieren sich diese kraftvollen Gebilde zu opulenter Gestalt und schwören dabei Anklänge an archaische Fruchtbarkeitssymbole herauf. So geleitet uns das Werk von Gordon Brown stets zu den Ursprüngen der Zivilisation zurück.
„Hier ist etwas vorgefallen, diesen Booten ist etwas widerfahren, sie sind verändert. Die Hand des Künstlers hat die Boote zerstückelt und neu zusammengesetzt, er hat sie durchbohrt und mit Stangen aufgespießt, er hat sie aufs Trockene gebracht und gleichzeitig als Bedrohung offenbar gemacht, was in ihnen steckt; die immerwährende Ambivalenz zwischen Fortgehen und Bleiben, zwischen Aufbruch und Ankunft, zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Boote sind nicht nur der Ort des Geschehens, sie sind gleichzeitig auch sein Symbol. Genau dies, auf der Grenze zwischen Abreise und Verharren, unternimmt Gordon Brown mit seinen Arbeiten: Er macht seine Boote tauglich für Kopfreisen und verleiht ihnen tatsächlich ein eigenes Leben. Dies ist aber mit unserem menschlichen Dasein so eng verknüpft, dass Browns Boote uns immer wieder zu neuer Erkenntnis verhelfen.“
„In sich Ruhendes und bedrohlich Lauerndes, ein schwebender ständig sich ausbalancierender Seiltanz der menschlichen Existenz offenbart sich in den Holzskulpturen von Gordon Brown.
(…)
Indem der Künstler den Betrachter in dies Erleben des Raumes als Spannungsfeld zwischen Skulptur und den sie umgebenden Raum mit einbezieht, macht er seine Bootsobjekte zu begehbaren Skulpturen. Es geht ihm hier um etwas Allgemeines, das jeder in seinen Alltag erleben kann, um die Polarität von Leichtigkeit und Schwere, von Energie und Energiefeldern, die zwischen zwei Polen sich bilden, und die unser menschliches Dasein bestimmen.“
„Die eingangs erwähnten Fragen, die durch seine Skulpturen aufgeworfen werden, sind alte, doch stets aktuelle Fragen der Menschheitsgeschichte. Dies erklärt, warum seine Skulpturen einen bisweilen archaischen Charakter besitzen, so wie Holz auch zu den frühesten Werkstoffen gehört, derer der Mensch sich in seiner Geschichte bediente. Ungeachtet der existentiellen Bedeutung der Fragen haben sich seine Arbeiten auch etwas Spielerisches erhalten. Nicht Schwere und Theatralik, sondern Vielfalt und eine Art zeitloser Gelassenheit sind ihre Themen. Seine Skulpturen sind keine fest gefügten, unumstößlichen Wahrheiten, die eine Doktrin verkünden, sondern es sind mögliche Antworten, die so, aber auch anders hätten formuliert werden können.
Das Reisen, das auf dem Weg sein und die beständige Evolution des Menschen sind wichtige Aspekte im Werk Gordon Browns. Daher bedient er sich verschiedener Metaphern und Symbole, die dies seit grauer Vorzeit wie Urbilder veranschaulichen. Hierzu gehören die zahlreichen Boote, die seit vielen Jahren seine Arbeit beeinflussen. Hierzu gehören aber auch die samen- oder kapselartigen Gebilde, die wie eine Frucht das Werden und Entstehen neuer Formen in sich zu bergen scheinen. Wie sehr die von ihm präsentierten Formen seit Urzeiten das Denken und Handeln der Menschen bestimmen, zeigen die zahlreichen kultischen Aspekte vieler Werke, die durchaus an Fetische von Naturvölkern erinnern. Sie thematisieren die Existenz des Menschen innerhalb größerer Sinnzusammenhänge, die wir am Beispiel von Skulpturen visualisieren können.“
„Assoziativ umspielen die Objekte von Gordon Brown zwei gleichsam archetypische Motive: die Sinnbilder von Haus und Boot. Es handelt sich hier gewissermaßen um polare Gegensätze, die zum einen das Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit, Sesshaftigkeit und Dauerhaftigkeit artikulieren, zum anderen den Drang, Grenzen durch neue Erkundungen zu überwinden und in nie zu stillender Neugier zu immer neuen Ufern und Erkenntnissen vorzustoßen. In den Symbolen von Haus und Boot zeigt sich in den meisten Kulturen die Sehnsucht, sich selbst als Individuum zu bestimmen und sich gleichzeitig jeder Festlegung als Eingrenzung des persönlichen Freiheitsraums zu entziehen.“
„Mit Intuition und Sensibilität für die verschütteten Quellen unserer Kultur setzt Gordon Brown künstlerisch narrative Kräfte frei. In einer vereinfachten, fast archaischen Formensprache entwickeln seine Arbeiten einen oft meditativen, introvertierten Charakter, der von emotionaler Atmosphäre und Stille begleitet wird.
(…)
Es sind Traumschiffe und Traumhäuser, die uns Gordon Brown hier präsentiert; sie sind vorzüglich geeignet, um existenzielle Fragen zu stellen: Spüren wir in uns nicht auch häufig diesen Zwiespalt zwischen Abfahren und nach Hause Kommen, Mobilität und Geborgenheit, Verändern und Bewahren, Beherrschung von Natur und Ohnmacht den Elementen gegenüber? Gordon Brown gelingt es, diese Gefühle auf feinfühlige Art in seinen Werken einzufangen. Seine Boote und seine Häuser sind offen und dennoch wirken sie so, als ob sie etwas bewahren würden, was sie dem Auge nicht preisgeben wollen. Derart retten sie die Phantasie, retten unsere Träume.“